Laut einer repräsentativen Umfrage des Statistischen Bundesamts von 2015 arbeitet etwa die Hälfte aller frisch gebackenen Absolvent*innen der Geisteswissenschaften in einer für diese Studienfächer „typischen“ Branche. In erster Linie zählt dazu das Bildungswesen (ca. ein Drittel). Danach kommen Medien (Verlage, Funk und Fernsehen mit 7%), dann Kunst und Kultur (6%), dann Übersetzen/ Dolmetschen und der öffentliche Dienst (jeweils 4%).
Unabhängig von der konkreten Berufsbezeichnung trifft eines auf alle Jobs in diesen Branchen zu: Sie sind heiß begehrt. Auf eine ausgeschriebene Stelle kommen mitunter bis 1500 Bewerbungen. Wie du einen Weg in den verdeckten Arbeitsmarkt findest und so deine Chancen auf deinen Wunschjob drastisch erhöhst, darüber habe ich hier geschrieben.
Wie sieht es nun aus mit einigen der (aus meiner Sicht) beliebtesten Jobs unter Geisteswissenschaftler*innen? Wie leicht oder schwer ist es, da rein zu kommen? Wie zufrieden sind Menschen in diesen Jobs?
Meine Portraits sind, wie immer, völlig subjektiv und sollen dich durchaus zu kritischem Widerspruch oder neugierigem Überdenken deiner bisherigen Annahmen anregen. Über alle vorgestellten Beispiele kannst du ausführlicher in meinem Buch lesen.
Wissenschaftlicher Referent der Studienstiftung des deutschen Volkes – Marc Halder (Studium: Geschichte)
Leitung von Auswahlseminaren, Vorbereitung und Begleitung von Veranstaltungen des ideellen Förderprogramms (z.B. Sommerakademien, Kurztagungen), Mitgestaltung der Programmplanung – das sind, grob gesagt, die wichtigsten Aufgaben, für die Marc in seinem Arbeitsalltag verantwortlich ist. In konkreten Tätigkeitswörtern ausgedrückt bedeutet das: am Computer sitzen, Dokumente in Word und Excel erstellen (z.B. Reisekostenkalkulation, Programmtexte), Emails schreiben, telefonieren, sehr viel reisen, mehrere Wochenenden im Monat auswärts unterwegs sein, mit Stipendiat*innen im regen Austausch stehen, ebenso mit Kolleg*innen.
Besonders gefällt Marc der Wechsel zwischen konzeptioneller und operativer Arbeit. Die Möglichkeit, auch eigeninitiativ Akademien sogar im Ausland ins Rollen zu bringen und für die gesamte Umsetzung verantwortlich zu sein, das gefällt ihm. Gleichzeitig findet er es mitunter schwierig, die Balance zum Privatleben aufrechtzuerhalten, wenn er zwei oder sogar drei Wochenenden pro Monat gar nicht zu Hause ist.
Was genau den Ausschlag dafür gegeben hat, dass Marc und nicht eine*r seiner vielen Mitbewerber*innen diese Stelle bekommen hat, wissen wir natürlich nicht. Sicherlich war es hilfreich, dass er nach seiner Promotion bereits zwei Jahre Berufserfahrung als Referent im Wissenschaftsrat gesammelt hatte und dazu noch ein dreimonatiges Ergänzungsstudium Wissenschaftsmanagement an der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer absolviert hatte. Um sich gegen 300-400 Mitbewerber*innen durchzusetzen, sind einschlägige Berufserfahrungen und Qualifikationen ein absolutes Muss.
Freiberufliche Journalistin – Inga Pylypchuk (Studium: Literaturwissenschaften)
Ingas Arbeitsalltag sieht so aus: Entweder sie ist unterwegs, interviewt Leute, sammelt Material – oder sie sitzt zu Hause und schreibt. Wobei das Schreiben von Artikeln nur einen Teil ausmacht. Der andere Teil sind Angebote für Texte an die Redaktionen, die diese Texte dann entweder haben wollen oder nicht. Wenn sie einen Text haben wollen, dann weiß Inga das gegen 10, halb 11 am Vormittag und muss bis 17 Uhr geliefert haben. Für Reportagen und andere längere Texte hat sie natürlich mehr Zeit.
Der Job macht ihr viel Spaß. Sie liebt das Schreiben, liebt es, die verschiedensten Leute aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten kennenzulernen. Sie kommt auch gut mit der geforderten Spontanität zurecht und mit ihrem Einkommen ist sie zufrieden. Sie braucht nicht viel, sagt sie. (Aus meiner eigenen Beobachtung möchte ich hinzufügen, dass Inga wirklich viel reist und dabei private Abenteuerlust und berufliches Interesse elegant verknüpft.)
Alles rosig? Inga sagt:
Mir gefällt es nicht, wie sich der Markt entwickelt. Dass so viel Druck aufgebaut wird, dass es heutzutage schon fast heldenhaft wirkt, als freiberufliche Journalistin zu arbeiten. Manche fragen mich: Wieso suchst du dir nichts Festes? Ach ja, Journalismus ist ja so schwer! – Da ist natürlich was dran. Einerseits ist es natürlich die Politik der Verlage und Redaktionen, dass sie ums Überleben kämpfen… die Lesegewohnheiten verändern sich. Viele Leser haben sich dran gewöhnt, kostenlos im Internet zu lesen, die wollen natürlich nicht dafür zahlen und es ist die Aufgabe der Verlage und der Redaktionen: wie macht man überhaupt diesen Übergang, dass diese Arbeit noch wertvoll ist?
Ohne das Sprungbrett der Journalistenschule Axel Springer Akademie, sagt Inga übrigens, wäre ihr der Einstieg in den Journalismus wahrscheinlich nicht gelungen. Andererseits kennt sie auch viele Quereinsteiger*innen in der Branche, die dir durchaus Mut machen können, auch ohne formale journalistische Qualifikation einen Einstieg zu finden.
Lektorin – Stephanie von Liebenstein (Studium: Germanistik, Anglistik, Philosophie)
Stephanie wollte Verlagslektorin werden, seit sie 12 war. Konsequent hat sie einschlägige Praktika bei renommierten Verlagen gemacht und sich während des Studiums bereits ein beeindruckendes Portfolio an relevanter Berufserfahrung angelegt.
Als sie es dann geschafft hatte und erst in einem kleinen und später in einem großen Wissenschaftsverlag arbeitete, machte ihr vor allem die Akquise großen Spaß:
Fachlich war die Stelle [wie beim ersten Verlag] in der Philosophie und Theologie angesiedelt. Es ging darum, sich zu überlegen, welche Themen jetzt gerade interessant sind. Themen wie „Religion ohne Gott“ oder auch: „wie gehen wir mit alten Menschen um?“ Was könnte man auf einem relativ populärwissenschaftlichen Thema aufarbeiten? Dann sucht man sich dafür einen Autor. Oder man hat einen anderen Autor, der ein anderes Thema heranträgt, was man für weniger aktuell hält, und fragt den, ob der sich vielleicht auch für was Anderes begeistern ließe. Oder wir entwickeln eine neue Handbuchreihe, was ich auch gemacht habe, und man findet dann Autoren, die wiederum andere Experten akquirieren. Das hat mir echt viel Spaß gemacht, solche Lexika zu entwickeln.
Trotzdem konnte die Verlagswelt Stephanie nicht halten. Dafür haben die Arbeitsbedingungen irgendwann nicht mehr zu ihren Bedürfnissen gepasst. Bei einer Arbeitszeit von bis zu 70 Stunden pro Woche führt auch ein auf den ersten Blick „okayes“ Monatsgehalt zu einem Stundenlohn, der wenig über dem Mindestlohn angesiedelt ist. Das wollte Stephanie nicht mehr. Die Geburt ihrer zwei Kinder nahm sie als willkommenen Anlass, ihre Karriereplanung zu überdenken. Heute studiert sie im dritten Semester Jura an der Fernuniversität Hagen. Die Begeisterung, mit der ihre Augen damals geleuchtet haben, als sie über die Freuden der Autorenakquise sprache, verblasst ein wenig im Vergleich zu der Begeisterung, die ihr jetziges Studium in ihr auslöst.
Projektleiterin bei einer gemeinnützigen Organisation – Inken Marei Koltoff (Studium: Neuere deutsche Literatur, Romanistik, Geschichte)
Was steckt hinter Berufsbezeichnungen wie „Projektkoordination“ oder „Projektleitung“? Ein Beispiel hierfür kommt von Inken.
Wie vielen Teilnehmer*innen meiner Workshops, die ich kennengelernt habe, war Inkens größter Antrieb, sich eine Stelle im Non-Profit-Sektor zu suchen, ihr Bedürfnis nach einer sinnerfüllten Aufgabe, die im Einklang mit ihren Werten (Nachhaltigkeit, Bildung, Verständigung) stand.
Sie begann freiberuflich bei der Vernetzungsplattform wechange als Projektleiterin zu arbeiten. Mithilfe dieser Plattform können sich Initiativen aus dem Umwelt-, Sozial-, Kultur- und Degrowth-Bereich vernetzen. Die Zielgruppen sind quer über Osteuropa verstreut und können über die Plattform auch über größere Distanzen besser miteinander zusammenarbeiten.
Inkens wichtigste Aufgabe: Texte schreiben, mit denen sie die Informationen der einzelnen Initiativen so gestaltet und darstellt, dass sie untereinander nutzbar gemacht werden können. Eine weitere Aufgabe, die viel Zeit in Anspruch nimmt: Per E-Mail mit den Teilnehmer*innen im Austausch sein. Außerdem gehörten zu ihrem Job: Reiseorganisation, Anträge schreiben, Sachberichte schreiben und Buchhaltungsaufgaben.
Als Projektleiterin für eine kleine gemeinnützige Organisation ist ein solches Allrounder-Aufgabenspektrum durchaus typisch. Das kann ein super Einstieg in die Branche sein. Auch wenn du das Angebot bekommst, als freie*r Mitarbeiter*in einzusteigen, obwohl du eigentlich eine Angestelltenposition suchst, lohnt es sich, über dieses Angebot nachzudenken. Nicht selten – so auch in Inkens Fall – wird daraus dann doch eine Anstellung. Im Non-Profit-Bereich hängt das dann von der Bewilligung von Projektgeldern ab, aber dafür kannst du selbst ja unter Umständen viel beitragen, und damit deine Expertise sogar noch weiter ausbauen.
Für Inken war dieser Berufseinstieg durchaus interessant. Dennoch erschienen ihr die Entwicklungsmöglichkeiten in diesem Bereich nach einigen Jahren und trotz Anstellung nicht mehr attraktiv genug und auch sie entschied sich, wie Stephanie, die Branche komplett zu wechseln und nebenberuflich zu studieren. Sie arbeitet nun als PR Assistentin bei einem Software-Entwickler und studiert Mechatronik.
Koordinatorin in der Botschaft von Kanada – Marta Neüff (Studium: Amerikanistik und Politikwissenschaften)
Als ich Marta im Winter 2016 interviewte, befand sie sich in der Abschlussphase ihrer Doktorarbeit. Neben ihrer Promotion arbeitete sie auf einer 40%-Stelle als Koordinatorin des Marshall McLuhan Salons der Botschaft von Kanada und sprach mit so viel Begeisterung von dieser Arbeit, dass es mich nicht wundert, dass sie heute immer noch bei der Botschaft von Kanada arbeitet und zwar als Advocacy Officer.
Sie beschrieb ihre Arbeit damals folgendermaßen:
Ein konkreter Arbeitstag sieht so aus, zum Beispiel morgen. Morgen komme ich zur Arbeit um halb neun. Ich habe eine Grundschulgruppe, das ist eine zweite Klasse. Die kommt zu einer Führung über die Ureinwohner Kanadas. Mit den Grundschulgruppen versuchen wir immer, einen Bastelworkshop anzubieten. Zum Beispiel bauen wir mit den Kindern einen Inuksuk, einen steinernen Wegweiser, der aussieht wie ein Mensch, und von den Inuit gebaut wurde. Wir sprechen über die Inuit: wo wohnen sie? wie lange sind sie schon da? Und aus meinem Filmarchiv wähle ich dann immer ein, zwei kurze Filme, die für die Gruppe relevant sein könnten. Für diese Gruppe könnte der Film über Ahornsirup interessant sein, denn das ist eine Erfindung der Inuit. – Den Nachmittag über werde ich mich mit einem Filmprojekt beschäftigen: Wir werden einen Werbefilm über Kanada produzieren, für Messen. Einmal in der Woche habe ich ein Section-Meeting mit der ganzen Abteilung. Wir sind zwölf Mitarbeiter. Da tauschen wir uns aus, welches Programm was macht, was neue Kontakte sind usw. Dann habe ich noch die Aufgabe, neues Material zu beschaffen: Filme, Texte – und Experten zu bekommen, z.B. Kanadisten.
Besonders interessant finde ich ja immer die Frage, wie nützlich das geisteswissenschaftliche Studium für den späteren Job ist – gerade weil viele Geisteswissenschaftler*innen die Erfahrung machen, dass ihre studienrelevanten Kompetenzen häufig nicht explizit gefordert sind, und darüber etwas frustriert oder enttäuscht sind. Das ist, so vermute ich, auch ein Grund, warum Geisteswissenschaftler*innen sich besonders gern auf Stellen bewerben, in denen ihre speziellen Fähigkeiten auch gefragt sind. Für Martas Job ist das ganz klar der Fall:
Ich könnte meinen Job nicht tun, wenn ich nicht das studiert hätte, was ich studiert habe. Allein, was das Bewerbungsgespräch angeht. Das war auf Deutsch, Englisch und Französisch, sowohl schriftlich als auch mündlich. Es wurde auch getestet, ob ich Informationen schnell zusammenfassen kann, ob ich ein Basiswissen zur Geschichte Kanadas mitbringe. Die Skills zum Recherchieren, längere Texte kurz zusammenfassen – das ist etwas, das Geisteswissenschaftler, egal welcher Richtung, auf jeden Fall gelernt haben, gut können, und die meisten von uns auch gern tun. Man muss unterscheiden können, was ist relevant, was ist für die Botschaft angemessen, was nicht. Aber auch meine Kontakte im akademischen Bereich sind entscheidend. Ich weiß, wie es in Academia läuft, wo und wie etwas wissenschaftlich besser begleitet werden kann. Mein Job ist also wirklich sehr studienrelevant und das finde ich sehr schön.
Übrigens gibt es auch für Jobs, in denen die Verbindung zum Studium nicht ganz so offensichtlich ist, ganz wunderbare und überzeugende Beispiele, auf welche Weise das geisteswissenschaftliche Studium für den Job besondere Vorteile bringt. Einige dieser Beispiele findest du im ersten Teil dieser dreiteiligen Reihe.